Wie Visum-Bürokratie Anwerbung von Pflegekräften torpediert
Er spricht gut Deutsch, hat pflegerische Erfahrung gesammelt und bereits eine Wohnung in der Nähe seines künftigen Arbeitgebers gefunden. Peter Koch (Foto), Geschäftsführer der Gaggenauer Altenhilfe, hatte in dem Marokkaner den idealen Auszubildenden gefunden. Einziger Haken: Der junge Mann konnte seine Ausbildung in Deutschland nicht beginnen, weil sein Visum fehlte – eigentlich eine Formsache, nachdem Arbeitsagentur und Ausländerbehörde grünes Licht gegeben hatten. Doch die deutsche Botschaft Rabat bremste ihn aus.
Koch hat seinem Ärger vor einigen Tagen schon auf Linkedin Luft gemacht in einer Reaktion auf den Care-vor9-Artikel Deutschland bei ausländischen Pflegekräften äußerst unbeliebt. Bei dieser Gelegenheit hat er einmal erfahren, dass unter der schleppenden Visa-Bearbeitung bei der deutschen Botschaft in Rabat, der Hauptstadt von Marokko, auch andere Altenpflegeträger und ihre angehenden Mitarbeiter leiden.
Für Koch ist der junge Marokkaner ein idealer ausländischen Mitarbeiter: Alle Formalitäten hatte er selbstständig geregelt, vom B2-Kurs über die zahlreichen Beglaubigungen bis hin zur Wohnungssuche. "Ich habe wirklich noch nie einen so engagierten Bewerber aus Marokko erlebt", sagt der Geschäftsführer. Auch die Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden, der Agentur für Arbeit und der Ausländerbehörde, lief geschmeidig.
Botschaft fordern elektronische Dokumente noch einmal in Papierform an
"Mit der Ausländerbehörde in Gaggenau habe ich besprochen, dass wir bei der Botschaft ein beschleunigtes Visa-Verfahren beantragen, das innerhalb von vier Wochen genehmigt wird. Ein solches Verfahren ist eigentlich kein Problem, wenn sowohl die Agentur für Arbeit als auch die Ausländerbehörde bereits zugestimmt haben", sagt Koch.
Am 5. September lagen der Botschaft in Marokko alle Unterlagen vor. Sie forderte dann die elektronisch gesandten Dokumente allerdings noch einmal in Papierform an – und erhielt sie per Express pünktlich zum Termin, den der junge Mann dort am 9. September hatte.
"Prozesse dauern halt so lange, wie sie dauern"
"Er hat das Visum am 9. September aber nicht bekommen", so Koch. Am 15. September erhielt er von der Botschaft die Anfrage, ob die Ausbildung, die am 1. Oktober beginnen sollte, auch ein paar Wochen später beginnen könne. "Wenige Wochen – ja, sagten wir. Seither haben wir nichts mehr von der Botschaft gehört." Über mehrere Tage habe er versucht, die Vertretung zu erreichen. "Selbst unsere Ausländerbehörde hat versucht durchzukommen – erhielt aber nur die lapidare Antwort, die Prozesse dauerten halt so lange, wie sie dauern", erzählt Koch.
Inzwischen wird es für den Marokkaner nach so viel verpasstem Unterrichtsstoff vermutlich immer schwieriger, sich noch in den Kurs einzufinden. Auch muss er wegen der vielen Fehlzeiten damit rechnen, die Probezeit nicht zu bestehen. Koch: "Es ist auch für die Schule ärgerlich, denn sie hat mit dem Schüler gerechnet. Wenn fünf Auszubildende in einem Kurs nicht aufschlagen, ist nämlich auch die Refinanzierung der Schule gefährdet. Ein Schulleiter sagte mir neulich, es sei immer ein Glücksspiel, ob die ausländischen Azubis am Ende auch wirklich auftauchen."
Kochs bitteres Fazit: Auf der Suche nach Pflegekräften fliegen deutsche Politiker rund um die Welt. Doch an die Grundvoraussetzung vor Ort – ein funktionierendes Visaverfahren – denken sie offenbar nicht.
Das Auswärtige Amt bestätigt auf Nachfrage von Care vor9 Verzögerungen bei der Visaerteilung in Marokko: "Im Vergleich zu Vor-Corona gibt es einen Zuwachs von Erwerbs- und Ausbildungsvisa um 600 Prozent." Ein derart großer Anstieg sei erfreulich, aber in der Form nicht zu erwarten gewesen, erklärt das Auswärtige Amt. "So kam es in Marokko in diesem Herbst rund um den Ausbildungsbeginn in Deutschland vorübergehend zu längeren Terminwarte- und Bearbeitungszeiten. Dem sind wir mit Personalaufstockung vor Ort begegnet." Zudem habe man die Inlandsbearbeitung für diesen Bereich ausgebaut.
Kirsten Gaede