Warum "Ambulant vor Stationär" keine Lösung ist
Dass die Zahl der Pflegebedürftigen weiter rasant ansteigt, ist unstrittig. Dass die Politik glaubt, "Ambulant vor Stationär" sei die Lösung, halten die Chefs des Pflegeanbieters Belia und des Projektentwicklers Cureus für einen Irrweg. Die ambulante Pflege in den eigenen vier Wänden werde an ihre Grenzen stoßen, schreiben Michael Burmester und Gerald Klinck in einem gemeinsamen Gastkommentar für Care vor9: "Wir brauchen ein klares Konzept, wie schneller und mehr Pflegeheime gebaut und betrieben werden können."
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Immer mehr Insolvenzen von Pflegeheimbetreibern, immer mehr Pflegeheimplätze, die einfach wegfallen. Was zu einem gesellschaftlichen Aufschrei und zu unmittelbarem politischem Handeln führen sollte, löst leider immer noch allzu oft nur ein Schulterzucken aus. Dabei sind immer mehr Menschen und damit ihre Angehörigen von der Welle der Betreiberinsolvenzen betroffen.
Allein 2023 war in dieser Hinsicht verheerend. Vergangenes Jahr sind dem Markt insgesamt über 5.000 stationäre Plätze und Plätze in der Tagespflege verlorengegangen. Dabei steht bereits jetzt fest: In den kommenden Jahren werden weitaus mehr Pflegekapazitäten benötigt als heutzutage. Bereits für 2035 wird ein Zuwachs von 14 Prozent auf etwa 5,6 Millionen Pflegebedürftige erwartet.
Stationäre Pflege wichtiger denn je
Nun gibt es in der Politik und bei anderen Akteuren den Impuls, dass das bisher mehr schlecht als recht funktionierende Prinzip "Ambulant vor Stationär" auch diese Verluste und viele weitere in den kommenden Jahren auffangen könnte und – darüber hinaus – auch geeignet wäre, die wachsende Zahl an zu Pflegenden aufzufangen.
Der Effekt könnte folgendermaßen beschrieben werden: Da die ambulante Pflege aufgrund von zu wenig stationärer Pflege aktuell zunimmt, wie eine weitere Erhebung von Pflegemarkt.com aufzeigt, scheint die Politik dazu verleitet zu werden, noch mehr auf ambulante Pflege zu setzen. Das ist aber eine im negativen Sinne selbsterfüllende Prophezeiung, die nicht funktionieren wird. Sie stützt sich unter anderem darauf, dass die absolute Anzahl der Pflegeheime stagnierte, während die Angebote ambulanter Pflegedienste um 15 Prozent zunahmen.
Ab einem gewissen Pflegegrad ist stationär alternativlos
Aber klar ist bereits heute, dass mit dem Anstieg der absoluten Zahl der Pflegebedürftigen auch die Zahl derer wachsen wird, die nicht zu Hause gepflegt werden können. Es gehört zur Wahrheit dazu, dass stationäre Pflege ab einem bestimmten Pflegegrad keine Frage der Wahl mehr ist – eine Situation, vor der immer mehr Menschen stehen werden.
Und es gibt weitere Argumente, die dagegensprechen, statisch am Prinzip Ambulant vor Stationär festzuhalten. Oftmals haben sich in den vergangenen Jahren die Familienstrukturen stark verändert. Es gibt weniger Kinder und Angehörige, die vor Ort einspringen und sich kümmern könnten. Auch gehen pflegende Angehörige für die Gesamtproduktivität einer Volkswirtschaft verloren, die ohnehin unter Fachkräftemangel an allen Ecken und Enden leidet.
Alleinlebende Senioren drohen ferner in anonymen Nachbarschaften hingegen mehr und mehr zu vereinsamen und auch in der Pflege gibt es immer weniger Personal, das sich adäquat um die Senioren kümmern könnte. Ein Umstand, dem sich vor allem mit kleinteiligeren Betreiberkonzepten in regionaler Ausprägung entgegentreten lässt. So lassen sich neue Mitarbeiter gezielter ansprechen und individueller weiterentwickeln, als in großen Pflegekonzernen.
Qualifiziertes Fachpersonal an einem Ort
Auf der Hand liegen hingegen die Vorteile einer stationären Pflegeeinrichtung, denn hier leben die älteren Leute in sozialer Gemeinschaft und können rund um die Uhr von ausgebildetem Fachpersonal betreut werden. Die raren Pflegefachkräfte sind an einem Ort gebündelt und können ihre Arbeitszeit viel effektiver nutzen, als wenn sie im Kleinwagen von Pflegefall zu Pflegefall fahren müssen.
Dies ist zudem ein wichtiges Argument, wenn es darum geht, den Pflegeberuf nachhaltig attraktiv zu halten. Auch fallen die Kosten für die Gemeinschaft über die Pflegekasse bei stationärer Betreuung oft geringer aus, als bei ambulanten beziehungsweise teilstationären Abrechnungsmöglichkeiten – Stichworte Hilfsmittel oder Betreuungsaufwand.
Rasch neue Pflegeheime bauen
Um die Situation bestehender Pflegeheime überdies zu verbessern und die Betreiber zu stützen, sollten die Investitionskostensätze an die Realität angepasst werden. Das kann aber nur ein erster Schritt sein. Der zweite Schritt muss zwangsläufig lauten: Neue Pflegeheime, und zwar viele davon und rasch.
Insbesondere Kommunen sind in diesem Zusammenhang gefragt, denn ihnen kommt eine besondere Verantwortung zu. Sie sollten Pflegeheiminvestoren den Zugang zu bezahlbaren Grundstücken in innerstädtischen Gebieten ermöglichen. So ist die soziale Einbindung der Bewohner in ein infrastrukturell erschlossenes Umfeld sichergestellt, und der Pflegestandort wird auch attraktiv für Mitarbeiter.
Daneben bedarf es für mehr Geschwindigkeit beim Neubau auch der Vereinheitlichung der Bauvorschriften für Pflegeheime. Auch ist es einen Gedanken wert, eine Fördermöglichkeit für die Schaffung so wichtiger sozialer Infrastruktur ins Leben zu rufen, um weitere professionelle Investoren für dieses Marktsegment zu gewinnen.
Fahren auf Sicht wird scheitern
Politik und Verwaltung können beim gesellschaftlich so relevanten Thema Pflege Handlungsfähigkeit beweisen, indem die Rolle der stationären Pflege im Zusammenspiel mit weiterhin wichtigen ambulanten Angeboten gestärkt wird. Wichtig wäre, das System Pflege langfristig vom Ende aus zu denken. Ein Fahren auf Sicht hingegen, wie es momentan stattfindet, wird scheitern.
Michael Burmester hat als geschäftsführender Gesellschafter 2014 die Belia Seniorenresidenzen mit Sitz in Winsen an der Aller gegründet. Die Abkürzung Belia steht für "Besseres Leben im Alter". Belia betreibt mehr als 20 Seniorenresidenzen, Hausgemeinschafts- und Tagespflegeeinrichtungen im Ruhrgebiet und am Niederrhein. Mit Erfahrungen und Kenntnissen aus anderen Branchen, Positionen und auch Ländern ist es Burmester ein Anliegen, neue Wege in der Altenpflege zu gehen und Dinge anzupacken.
Gerald Klinck war viele Jahre Chef des Projektentwickelers Cureus und ist heute ist Vorsitzender des Beirats. Er blickt auf eine über 20-jährige Karriere als Spezialist in der Immobilienbranche zurück. Klinck berät die Eigentümerseite und die Geschäftsführung von Cureus. Das Unternehmen baut und besitzt Pflegeimmobilien, aktuell sind rund 60 Pflegeeinrichtungen an unterschiedliche Betreiber verpachtet. 16 neue Standorte sind in Bau.