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24. Mai 2025 | 10:54 Uhr
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Warum der neue TVöD-Abschluss nicht nur Nachteile hat

Seit April gilt der neue Tarifvertrag TVöD für kommunale Pflegeanbieter. Was bedeutet er für die Arbeitgeber: Müssen sie mehr Pflegekräfte einstellen? Können sie die höheren Personalkosten bei den Pflegesatzverhandlungen für dieses Jahr komplett geltend machen? Care vor9 fragte Thilo Naujoks, Geschäftsführer der Städtischen Pflegeheime Esslingen ganz in der Nähe von Stuttgart.

Thilo Naujoks ist Chef der Städtischen Pflegeheime Esslingen, die an fünf Standorten rund 500 Mitarbeiter beschäftigen

Herr Naujoks, sind Sie mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden, können Sie mit dem Tarifabschluss leben?  

Ja, es ist ein Tarifabschluss mit Augenmaß, damit können wir als kommunale Pflegeanbieter gut umgehen. Ein Vorteil ist, dass wir erst zum 1. April die erste Gehaltssteigerung zahlen müssen, obwohl der alte Vertrag bereits Ende 2024 ausgelaufen war. Das bedeutet, dass die meisten Pflegebetreiber die gestiegenen Gehälter in ihrer Pflegesatzverhandlung vollständig geltend machen können. Dies gilt natürlich nur, wenn die Lohnerhöhung zeitlich mehr oder weniger mit den Pflegesatzverhandlungen zusammenfällt. Wer zum Jahreswechsel schon verhandelt hat und nur eine zu geringe Personalkostensteigerung durchsetzen konnte, hat das doch so häufige Problem, dass er für die laufende Pflegesatzperiode höhere Löhne zahlen muss, die in den Pflegesätzen nicht abgebildet sind und sich dann normalerweise auch nicht mehr geltend machen lassen. Das Delta fehlt dann im laufenden Budget. Schließlich handelt es sich um prospektive Verhandlungen, in denen zusätzliche Ausgaben nicht rückwirkend berücksichtigt werden.       

Ein weiterer Vorteil ist die lange Laufzeit des Tarifvertrags bis zum 31. März 2027. Damit haben wir für zwei Pflegesatzperioden eine Grundlage und Planungssicherheit.  

Die Beschäftigten bekommen ab 2027 einen Urlaubstag mehr pro Jahr. Müssen Sie deshalb Personal aufstocken?        

Nein, der eine Urlaubstag fällt kaum ins Gewicht. Ich habe das für unseren Betrieb einmal ausgerechnet: Bei einem Haus mit 100 Plätzen bedeutet das, wir bräuchten eine Drittel-Stelle mehr. Klar, die bekäme ich nicht finanziert, denn wir haben in den Landes-Rahmenverträgen das Maximum an Personaläquivalenz bereits voll ausgeschöpft.

Aber, den einen Urlaubstag können wir noch kompensieren. Viel dramatischer sind die Krankenstände, die nach der Pandemie in einigen unsere fünf Pflegeheime auf beinahe zehn Prozent gestiegen sind.

Sicherlich: Hätte sich Verdi mit seiner Forderung von drei zusätzlichen Urlaubstagen durchgesetzt, wäre es natürlich schwierig geworden. Sollte es der Gewerkschaft in den nächsten Jahren doch einmal gelingen, müsste man die Personalanhaltszahlen noch einmal in den Blick nehmen. Aber damit würde man ein großes Fass öffnen: Die letzten Verhandlungen dazu haben fast zehn Jahre gedauert.

Der Kelch einer massiven Arbeitsverdichtung in der Pflege durch Arbeitszeitreduzierung ist dieses Mal aber glücklicherweise an uns vorübergegangen. Mit dem Tarifvertrag stehen die Zeichen sogar in mancher Hinsicht auf mehr Arbeit.

Ein Tarifvertrag mit der Botschaft "mehr Arbeit" – wie meinen Sie das?  

Nun, die Beschäftigten können freiwillig auf 42 Stunden die Woche aufstocken und bekommen dafür Zuschläge. Das Signal lautet doch klar: Wie wäre es mit Mehrarbeit?

Die Pflegekassen müssen die tariflich bedingten Personalkosten anerkennen, Sie bekommen Sie in jedem Fall refinanziert. Aber was bedeutet das für die Bewohner?

Der Tarifvertrag bedeutet für viele Pflegekräfte eine solide Gehaltserhöhung. Und das befürworte ich ausdrücklich! Jetzt gibt es zunächst eine Tabellenentgeltsteigerung von drei Prozent, mindestens aber 110 Euro bei einer Vollbeschäftigung. Zum 1. Mai 2026 kommen dann noch einmal 2,8 Prozent dazu. Ins Gewicht fallen natürlich auch die Schicht- und Wechselschichtzulagen, die sich im Schnitt mehr als verdoppelt haben. Zudem wird 2026 die Jahressonderzahlung je nach Entgeltgruppe auf 85 Prozent beziehungsweise 90 Prozent erhöht.

Das bedeutet für uns: Die Personalaufwendungen steigen – wenn man die gesamte Laufzeit des Tarifvertrages von 2025 bis 2027 betrachtet und alle Komponenten einrechnet – um 7,2 Prozent im Vergleich zu 2024. Für die Bewohner heißt das am Ende: rund 5,8 Prozent mehr Heimentgelt – vorausgesetzt beim Vergütungsmodus der Pflegekassen bleibt alles, wie es ist.

Wir haben bereits heute tatsächlich Einrichtungen, in denen der Eigenanteil 4.016 Euro im ersten Jahr beträgt. Der reduziert sich dank der zusätzlichen Leistungszuschläge der Pflegeversicherung nach dem ersten Jahr auf 3.620 Euro, ab dem 23. Monat auf 3.093 Euro und nach drei Jahren auf 2.434 Euro – aber es ist immer noch sehr viel Geld, wenn man bedenkt, dass der Betrag bis 2027 allein wegen der höheren Tariflöhne noch um fast sechs Prozent steigen wird und die durchschnittliche Rente in Deutschland weit unter 2.000 Euro liegt. Es hat also schon seine Gründe, weshalb der Verband der kommunalen Pflegeanbieter, der BKSB, aber auch viele andere Verbände den Sockel-Spitze-Tausch fordern, der bedeutet, dass Pflegebedürftige einen fixen Sockelbetrag zahlen und die Pflegeversicherung alle darüberhinausgehenden Kosten übernimmt.

Das Interview führte Kirsten Gaede

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