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22. Mai 2024 | 07:00 Uhr
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Wenn der Schweizer Pflegedienst das Personal abwirbt

Die Sozialstation Wiesental ist der führende ambulante Pflegedienst im südlichsten Zipfel von Baden-Württemberg. Doch die Nähe zur Schweizer Grenze, die gerade einmal zwanzig Minuten entfernt liegt, ist eine echte Herausforderung für den Betrieb. Regelmäßig kündigen eigentlich zufriedene Mitarbeiter, weil sie aus finanziellen Gründen eine vielfach höher bezahlte Stelle in der Schweiz antreten. Im Interview erklärt David Grau (Foto), geschäftsführender Vorstand der Sozialstation, wie der Pflegedienst die Situation dennoch meistert.

Grau_David_Porträt Sozialstation Wiesental

David Grau ist geschäftsführender Vorstand der Sozialstation Wiesental

Herr Grau, Sie verantworten als geschäftsführender Vorstand die Geschicke der Sozialstation Wiesental. Wie viele Mitarbeiter beschäftigt die Sozialstation im Bereich der Pflege derzeit ungefähr?

David Grau: Aktuell sind bei uns 45 Fachpflegerinnen, davon drei Männer, beschäftigt. Insgesamt beschäftigen wir 140 Personen und versorgen rund 700 Patientinnen und Patienten mit ambulanten Leistungen.

Wie hoch war im Vergleich zu heute die Anzahl der Mitarbeiter vor ungefähr fünf Jahren?

40 Mitarbeiterinnen waren vor fünf Jahren bei uns angestellt. Wir haben in dieser Zeit aber auch bewusst in Wachstum investiert und haben neue Bereiche gegründet.

Seit wann ungefähr sind sie mit dem Wechsel von Arbeitskräften aus ihrem Betrieb in Richtung Schweiz konfrontiert?

Seit zirka 15 Jahren. Seit Beginn der Corona-Krise hat sich die Lage nochmal verschärft. Die deutsche Regierung hat die Abwanderung in die Schweiz befeuert. So durften nur noch geimpfte Fachkräfte bei uns arbeiten, während wenige Kilometer nebenan in der Schweiz dies nicht erforderlich war. Wer Bedenken wegen des Impfstoffs hatte, wechselte die Branche oder das Land.

Können Sie die Anzahl der Arbeitskräfte, die Sie Richtung Schweiz verloren haben, ungefähr beziffern? 

In näherer Vergangenheit waren dies drei bis vier Mitarbeiterinnen. Es kommen auch wieder Mitarbeiterinnen zurück. Sobald der Kinderwunsch im Raum steht, punktet Deutschland wieder. Spätestens wenn Mütter wieder in den Beruf einsteigen, arbeiten Sie bei uns. Der Weg zur Arbeit ist deutlich kürzer und bei geringerem Deputat lohnt sich der weite Weg in die Schweiz nicht mehr.

Gibt es aufgrund der nicht immer erfolgreichen Nachbesetzung der Stellen bereits Einschränkungen bei Ihrem Service und wenn ja, in welcher Form?

Diese Einschränkungen kommen immer wieder mal vor. Zuletzt vor einem Jahr. Hier mussten wir Einsätze absagen. Dadurch konnten Menschen in der Region nicht versorgt werden. Als kirchliche und gemeinnützige Einrichtungen versorgen wir auch Menschen auf dem Land. Wenn wir nicht kommen, kommt kein privater Pflegedienst. An dieser Stelle kollabierte das System.

Wie lautet ihrer Strategie, um dennoch den Betrieb fortführen zu können?

Für Mitarbeitende im sozialen Bereich sind gute Beziehungen im Team die höchste Währung. Hier investieren wir viel in Zeit für gute Teamtreffen, Mitarbeiterfeste, kostenlosen Kaffee und Mineralwasser. Das fördert dann wiederum die Eigeninitiative des Personals, das dann einen Pflegestammtisch bei uns für Mitarbeitende initiiert haben. Wir bieten für Mütter "Mamitouren" an, die erst mit der Kita-Öffnung beginnen. Ein Jobrad ist bei uns ebenso zu haben wie den dazugehörigen abschließbare Fahrradkeller, unbefristete Verträge und interne Lohnberatung bieten wir zusätzlich an. Hinzu kommt eine betriebliche Altersvorsorge und Bezahlung nach Tarif. Und: Wir gehen ungewöhnliche Wege. So beschäftigen wir eine tolle Fachkraft in der ambulanten Pflege, obwohl sie keinen Führerschein hat. Sie versorgt zwölf Patienten aus ihrem näheren Umfeld.

Das Interview führte Pascal Brückmann

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