Mangelndes Controlling ist oft Grund für Insolvenzen
Schlecht gewirtschaftet. Erfolglos. So raunen manche, wenn Pflegebetreiber Insolvenz anmelden. Doch Gregor Bräuer, Fachanwalt für Insolvenzrecht, und Sanierungsberater Nicolas Krämer (Foto) machen andere Erfahrungen: Hauptsächlicher Grund gerade für Insolvenzen ambulanter Dienste sei mangelndes Controlling, sagen sie im Interview mit Care vor9 – lückenhafte Dokumentation, fehlendes Verordnungs- und Tourenmanagement.

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"Es bleibt schlicht auch viel auf der Straße, im wahrsten Sinne des Wortes", sagt Nicolas Krämer
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Herr Dr. Bräuer, Sie als Insolvenzverwalter müssen es eigentlich wissen: Werden Insolvenzen insgesamt mehr oder ist die Pflegebranche besonders betroffen?
Bräuer: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ist 2024 deutlich gestiegen. Insgesamt kletterte die Zahl der Insolvenzen im Jahr 2024 um rund 17 Prozent. Für 2025 wird ein weiterer Anstieg auf bis zu 25.000 Firmeninsolvenzen prognostiziert. Die Pflegebranche ist von dieser Entwicklung besonders betroffen. Im Jahr 2024 meldeten 1.100 ambulante Pflegedienste Insolvenz an und damit rund 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Unzureichende Refinanzierung, hohe Bürokratiebelastungen und steigender Personaldruck sind hierfür wesentliche Ursachen.
Es heißt immer wieder, vielfach treibe die schlechte Zahlungsmoral der Pflegekassen und Sozialämter die Unternehmen in die Insolvenz. Ist das die zentrale Ursache?
Bräuer: Das ist sicherlich ein Aspekt. Es kommen aber mehrere Faktoren zusammen: Sehr häufig gibt es strukturelle Probleme in den Unternehmen. Nicht selten ist die Leistung nicht sauber zu Ende dokumentiert. Und: Die erbrachte Pflegeleistung kommt nicht oder nicht rechtzeitig zur Abrechnung. Auf einmal ist dann weniger Geld in der Kasse, als ich benötige, um meine Rechnungen und meine Gehälter fristgemäß zahlen zu können. Dann muss ein Unternehmen, das möglicherweise sogar in einem Wachstumsmarkt agiert, den Gang zum Amtsrichter antreten, weil die flüssigen Mittel fehlen. Das Unternehmen verdurstet. Und das ist branchenübergreifend immer wieder ein Problem, doch ganz besonders in der Pflege, wo in der Tendenz alles Administrativ-Bürokratische als lästig und pflegefern abgetan wird.
Sie nennen das Verdursten?
Bräuer: Ja, genau. Eine Analogie zwischen Verdursten und Verhungern in einem Insolvenzszenario kann durchaus sinnvoll gezogen werden, insbesondere um die Unterschiede zwischen Liquiditätsengpässen und Rentabilität anschaulich zu machen. Ähnlich wie beim Verdursten ist im Falle des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit, wenn keine liquiden Mittel mehr vorhanden sind, die Not akut und unmittelbar existenzbedrohend. Weniger plötzlich, dafür schleichend tritt der Exodus durch Verhungern ein – wie beim Insolvenzgrund der Überschuldung, dem nicht selten eine längere Phase dauerhafter Verluste vorausgeht.
Unsere vorrangige Aufgabe als Sanierer ist es dann, nicht irgendwelche Schuldfragen zu klären, sondern dafür zu sorgen, dass es wieder läuft. Häufig bedeutet dies, die Unternehmensstrukturen anzupacken und deren Funktionsfähigkeit zu gewährleisten. Dabei stehen das Finanzcontrolling ganz oben auf unserer Maßnahmenliste sowie – gerade im Sektor der ambulanten Pflege – die Sicherstellung eines nachhaltigen Verordnungsmanagements, also jene organisatorischen und administrativen Maßnahmen, die notwendig sind, um ärztlich verordnete Leistungen korrekt, rechtssicher und wirtschaftlich umzusetzen.
Dabei ist besonders wichtig, Mitarbeiter dafür zu sensibilisieren, dass der Leistungskatalog komplett abgearbeitet wird oder erbrachte Leistungen auch dokumentiert und abgerechnet werden. Vielfach bleiben erbrachte Leistungen einfach auf der Strecke. Das hat auch nicht selten mit dem verbreiteten Altruismus der Pflegekräfte zu tun. Der Pflegeberuf zieht Menschen mit einer hohen sozialen und emotionalen Intelligenz an.
Aber könnte es der eher altruistisch denkenden Pflegekraft nicht auch ein Anliegen sein, korrekt zu dokumentieren?
Bräuer: Es geht in der Regel um Vollständigkeit. Um es zu veranschaulichen: Da ist die Pflegekraft vor Ort in der Wohnung des Pflegebedürftigen. Sie bereitet ihm das Essen, zieht die Jalousie nach oben, bringt den Abfall vor die Haustür. Und eben genau dieses, den Abfall entsorgen, das notiert sie hinterher einfach nicht mehr. Manche übersehen einfach, dass das auch zu dokumentieren ist, andere sagen: Was soll ich das jetzt auch noch in Rechnung stellen lassen. Sie finden das kleinlich, haben Mitleid und wollen nicht, dass der Pflegebedürftige mit zu vielen Kosten belastet wird. Da muss mit einem stringenten Verordnungsmanagement und einem funktionsfähigen Controlling gegengesteuert werden. Aber das fehlt in vielen Pflegediensten oder ist unterentwickelt.
Krämer: Es geht auch nicht nur um die Dokumentation, auch das ganze Routenmanagement, die optimierte Wegeplanung fehlt nach unseren Beobachtungen nicht selten. Da bleibt also nicht nur viel liegen, weil es nicht abgerechnet wird, es bleibt schlicht auch viel auf der Straße, im wahrsten Sinne des Wortes. Strecken optimieren – also alles das, was bei Amazon und bei DHL eine Selbstverständlichkeit ist, läuft in der ambulanten Pflege nicht immer optimal. Im schlimmsten Fall führt das dazu, dass ein Mitarbeiter vier Stunden auf der Straße und vier Stunden beim Patienten ist, aber eben nicht sechs Stunden beim Patienten und zwei Stunden auf der Straße. Dabei ist es inzwischen möglich, Mitarbeitern KI-gestützt einen Tourenplan zu erstellen, mit dem sie innerhalb kürzester Zeit das Großmögliche an Leistung erbringen können.
Man kann es nicht oft genug sagen: Gute Tourenpläne sind zentral. Denn schlecht geplante Touren steigern nicht nur die Kosten, sondern mindern auch den Umsatz, weil die Mitarbeiter nicht ausreichend Zeit beim Patienten verbringen, um dort ein erforderliches Maß an Leistungen zu erbringen.
Es gibt auch große Anbieter, die in die Insolvenz steuern, von denen man aber vermuten würde, dass sie ein systematisches Controlling haben. Woran liegt es?
Krämer: Viele Start-ups werden von Gründern mit einer starken Vision und einer überzeugenden Makro-Strategie geführt – also mit Blick auf das große Ganze: Skalierung, Marktpositionierung, Innovation. Was jedoch bisweilen fehlt, ist die gleiche Sorgfalt auf der Mikro-Ebene. In der operativen Umsetzung wird die gesamte Wertschöpfung pro Patient nicht konsequent ausgeschöpft. Prozesse wie etwa die Abrechnung aller erbrachten Leistungen oder scheinbar kleine Themen wie der Abfall – wie Herr Dr. Bräuer es treffend dargestellt hat – bleiben ungenutzt oder ineffizient. So entsteht eine systematische Lücke zwischen strategischem Anspruch und operativer Realität – mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen.
Diese Probleme lösen die Unternehmen nicht, indem sie wachsen und viele Standorte erschließen. Wenn sie Geld verdienen wollen, müssen sie effizienz-basiert arbeiten. An der Stelle kommt dann auch KI zum Einsatz, da sind softwarebasierte Lösungen gefragt, die das Verordnungsmanagement, das Tourenmanagement und dergleichen organisieren. Wenn sie es also schaffen, im Hintergrund viele Prozesse effizienter zu gestalten, dann können sie ihr Modell skalieren und auf der Basis auch wachsen. Wenn aber dieser technologische Fortschritt ins Stocken gerät, schaffen sie es nicht zu skalieren. Allerdings, wenn technologische Prozesse ins Stocken kommen, ist das oft auch eine Akzeptanzproblematik.
Was meinen Sie genau mit Akzeptanzproblematik?
Bräuer: Aus meiner Sicht besteht gerade für große Unternehmen die Herausforderung darin, eine Verbindung zu denjenigen Mitarbeitern im Unternehmen herzustellen, die den Dienst direkt am Menschen erbringen. Zu denjenigen, die aus altruistischen Motiven ihren Dienst verrichten, die aber mit der Idee, umsatz- und effizienzgetrieben zu arbeiten, nichts anfangen können. Das ist in ihrem Mindset nicht verankert. Das ist ein wichtiger Aspekt, der in der Zentrale nach meiner Beobachtung häufig unterschätzt wird.
Es ist aber wichtig, sich der Tatsache bewusst zu sein, dass es hier zwei unterschiedliche Mindsets gibt. Ein enger Kontakt zu den Mitarbeitern ist deshalb wichtig. Es braucht Führung, es braucht maßvolle Kontrolle, weil ein Unternehmen letztlich auch operativ profitabel geführt werden muss. Die entsprechenden Strukturen sind aber häufig unterentwickelt.
Was wäre konkret zu tun? Wie können Betreiber beispielsweise für eine gründlichere Dokumentation sorgen?
Krämer: Da bedarf es innerhalb des Unternehmens eigentlich eines Intermediärs, also einer vermittelnden Instanz, die die Pflegekräfte auch betriebswirtschaftlich sensibilisiert, ihnen aber gleichzeitig diesen ganzen betriebswirtschaftlich notwendigen Aufwand im Wesentlichen abnimmt. Eine Person im Grunde, die Dokumentation vorgibt, die Dokumentation auch unterstützt, begleitet, dann in die Abrechnung gibt. Diese permanente Begleitung und Kontrolle sind aus meiner Sicht unverzichtbar, wenn man ein Unternehmen im Bereich der Pflege erfolgreich führen möchte.
Gregor Bräuer arbeitet seit fast 20 Jahren als Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht. Als Partner der Anwaltskanzlei Streitbörger in Düsseldorf hat er unter anderem die Insolvenzverfahren von Mister Minit und der deutschen Tochtergesellschaft des schwedischen Modekonzerns Gina Tricot begleitet. Augenblicklich verantwortet er das Insolvenzverfahren der Pflegedienstkette Kenbi.
Nicolas Krämer ist Vorstandsvorsitzender der Krankenhäuser und Pflegeanbieter spezialisierten Sanierungsberatung HC&S in Düsseldorf. Er arbeitete in Management-Positionen in der Kaiserswerther Diakonie Düsseldorf, im Marienkrankenhaus Soest und im kommunalen Rheinland Klinikum.
Das Interview führte Kirsten Gaede