Warum Pflegeheime mit Unikliniken kooperieren sollten
Zwischen Pflegeheimen und Hochschulmedizin liegen normalerweise Welten. Dabei könnten Bewohner, aber auch ganz allgemein Senioren, von einer Zusammenarbeit profitieren. Das zeigt die Diakonie Michaelshoven in Köln. Sie hat ein Modellprojekt mit der Uniklinik Köln gestartet, um Pflegebedürftigkeit zu lindern oder zu verhindern. Davon ist sogar Gesundheitsministerin Nina Warken begeistert, wie Geschäftsführer Christian Potthoff (Foto) im Interview mit Care vor9 erzählt.
Diakonie Michaelshoven
In der Wissenschaft gibt es viele Erkenntnisse zur Prävention von Pflegebedürftigkeit, die Bewohnern sehr helfen würden, meint Geschäftsführer Potthoff
Herr Potthoff, wie kam es, dass Sie mit der Uniklinik Köln zusammenarbeiten?
Als ich hier vor fünf Jahren als Geschäftsführer angefangen habe, wurde gerade die kommunale Planung veröffentlicht, die zeigte, dass in Köln bis 2040 rund 4.500 Pflegeplätze fehlen werden. Da wurde mir klar, dass wir Pflegeanbieter das Problem allein nicht lösen können: Wir müssen über den Tellerrand schauen und Partner finden, mit denen wir gemeinsam Projekte ins Leben rufen, nur so können wir Pflegebedürftigkeit verhindern oder zumindest verlangsamen. Gleichzeitig wusste ich, dass es in der Wissenschaft zum Thema Pflegebedürftigkeit schon viele Erkenntnisse gibt, die in der Praxis noch nicht erprobt wurden. So habe ich Kontakt zur Uniklinik und Universität Köln aufgenommen.
Ist es schwer, den Kontakt zu einer Universitätsklinik zu knüpfen? Mussten Sie viele Klinken putzen?
Nein, gar nicht. Zur Uniklinik hatte ich schon Kontakt. Die Universität Köln erforscht beispielsweise mit dem Exzellenzcluster namens CECAD die Ursachen, die sowohl dem Altern zugrunde liegen als auch ein breites Spektrum altersassoziierter Krankheiten auslösen. Außerdem gehört sie zur European University of Well-Being, einer Allianz elf europäischer Universitäten, die auch in der Altersforschung besonders aktiv sind. Beide Kölner Institutionen, die Universität und die Universitätsklinik, wollen mit Praxispartnern aus der Altenpflege kooperieren. So kamen wir schnell ins Gespräch. Wir haben einen sehr guten Kontakt zum Vorstand der Uniklinik Köln, seinem Team und der Universitätsprofessorin Cristina Polidori, die bei uns im Aufsichtsrat mitwirkt.
Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit der Uniklinik Köln konkret aus?
Wir wollen uns daran machen, die vielen medizinische Erkenntnisse zur Förderung der Gesundheit im Alter und Vermeidung von Pflegebedürftigkeit umzusetzen. Dafür haben wir ein Modellprojekt initiiert. Die Arbeitsgruppen, die den Plan dafür entwerfen, sind bereits zusammengekommen.
Wer sitzt in den Arbeitsgruppen?
Der Vorstand der Uniklinik Köln, Stabstellen sowie führende Professoren und Doktoren der Uniklinik, die Leitung des Sozialdienstes und von unserer Seite der Vorstand, Geschäftsführung, Stabstellen Pflege und Projekte, Einrichtungsleitungen, Pflegedienstleitungen sowie Vertreter der Pflegeschule. Es ist, wie man so schön sagt, ein richtiges multiprofessionelles Team. Das macht unfassbar viel Spaß, man saugt so viel medizinisches Wissen auf.
Wie finanzieren Sie das Modellprojekt?
Das SGB XI eröffnet jetzt schon durchaus Möglichkeiten, solche Projekte zu finanzieren. Auch wenn es ein wenig aufwendig ist: Wir wollen das Modellprojekt unbedingt umsetzen und haben uns auf den Weg gemacht. Dafür gehen wir teilweise auch in Vorleistung. Wir haben Lust auf Neues und sind überzeugt, dass es nur gemeinsam mit Medizin und Wissenschaft umsetzbar ist. Wir glauben daran, dass Innovationen von Unternehmen ausgehen müssen.
Können Sie ein Beispiel nennen, das verständlich macht, worum genau es in Ihrem Modellprojekt geht?
Prävention ist sehr vielseitig. Ein zentraler Punkt der Prävention von Pflegebedürftigkeit ist die Mobilität. Hier werden oft viele Chancen vertan. Ein Beispiel: Es gibt acht Aktivitäten des täglichen Lebens, die regelmäßig ausgeführt, die Mobilität fördern: Beispielsweise das Schneiden von einem Stück Fleisch auf dem Teller, das Führen der Gabel zum Mund und das Zuknöpfen einer Bluse oder eines Hemds. Das sind Aktivitäten, die sich alle gut in den Alltag oder Pflegealltag integrieren lassen, ohne, dass es extra Geld kostet. Doch wie kriegen wir es hin, solche Kleinigkeiten systematisch in den Alltag zu integrieren? Wir werden uns unter anderem mit solchen kleinen Maßnahmen beschäftigen, die doch viel Positives bewirken können.
Und darüber hinaus?
Es geht uns aber auch darum, eine ganzheitliche Versorgung über die Sektorengrenzen hinaus abzubilden. Hier spielt auch die Digitalisierung eine wichtige Rolle. In dem Forschungsprojekt Pflip haben wir unter der Leitung vom Fraunhofer Institut ISST einen Pflegekerndatensatz analog zum Medizinkerndatensatz sowie eine Datenbank entwickelt, die Medizin- und Pflegedaten zusammenführen kann, um Erkenntnisse für die Behandlung in der Pflege zu gewinnen. Durch die Auswertung großer pflegerischer und medizinischer Datensätze mittels KI ließen sich beispielsweise mehr Erkenntnisse über zum Beispiel Sturzgefahren im Zusammenhang mit Medikamenten gewinnen.
Vor wenigen Tagen war die Bundesgesundheitsministerin Nina Warken bei Ihnen zu Gast. Hat das Ministerium Sie wegen Ihrer Innovationsfreude ausgewählt?
Wir wollten der Ministerin unsere Innovationen vorstellen. Die Verbindung kam über die Frauen-Union Rösrath zustande. Sie hat einen besonderen Kontakt zur Ministerin, die Bundesvorsitzende der Frauenunion ist. In jedem Fall war sie begeistert und hat uns zugesichert, in Kontakt zu bleiben. So erstaunlich ist das nicht, denn die Prävention soll in der Altenpflege künftig doch mehr Bedeutung erhalten.
Das Interview führte Kirsten Gaede