Ist die Versorgungskrise in der Pflege nur Panikmache?
"Während in Berlin über die große Pflegereform diskutiert wird, bricht die Versorgung in vielen Regionen bereits zusammen", sagt Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege, immer wieder. Tausende Pflegeplätze seien bereits verloren gegangen. Aber stimmt das überhaupt? Die Zahlen des Datendienstes Pflegemarkt.com weisen das Gegenteil aus. Demnach schließen zwar viele Pflegeeinrichtungen, aber noch mehr starten neu, sodass der Saldo positiv ausfällt.
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Die nackten Zahlen über neue und geschlossene Pflegeeinrichtungen lassen keine Versorgungskrise erkennen
Richtig ist: Vielen Pflegeeinrichtungen geht es wirtschaftlich schlecht. Schleppende Zahlungen von Krankenkassen und Sozialämtern, steigende Personalkosten und überfällige Investitionen sind die Gründe, warum Woche für Woche Betreiber von Pflegeheimen und Pflegediensten in die Insolvenz gehen. Immer öfter sind davon auch kirchliche Träger und Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege betroffen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Pflegeangebote der strauchelnden Betreiber verschwinden. Manche sanieren sich in Eigenverwaltung, viele Einrichtungen werden übernommen und weitergeführt. Einige erwischt es allerdings auch: Sie müssen schließen.
Mehr Pflegeheime öffnen als schließen
Die Lage scheint aktuell jedoch weniger dramatisch zu sein, als von manchen Verbänden dargestellt. So haben laut Pflegemarkt.com von Januar bis Juli 35 Pflegeheime mit knapp 2.600 stationären Plätzen geschlossen. Im selben Zeitraum haben jedoch 47 Pflegeheime mit mehr als 2.700 Plätzen eröffnet. Von einem Rückgang kann demnach keine Rede sein.
Die Daten von Pflegemarkt.com basieren auf den offiziellen Angaben der Krankenkassen und den IK-Nummern der Standorte. Der Dienstleister recherchiert eigenen Angaben zufolge, ob eine Einrichtung tatsächlich geschlossen wird oder übernommen wird. Nur letztere würden in die Schließungsstatistik einfließen.
Auch bei Pflegediensten und Tagespflegen ist der Saldo positiv
Bei den ambulanten Pflegediensten ist das Kommen und Gehen auf dem Markt weitaus dynamischer, der Saldo fällt unterm Strich aber ebenfalls deutlich positiv aus. In den ersten sieben Monaten des Jahres haben 243 Pflegedienste aufgegeben, während 282 neu gegründet wurden. Laut Pflegemarkt.com gibt es ebenfalls mehr Tagespflegen: 48 haben geschlossen, aber 124 haben neu eröffnet. Für das Betreute Wohnen veröffentlichen die Datenexperten keine Statistik. Angesichts der zunehmenden Immobilieninvestitionen in diesem Bereich dürfte das Angebot jedoch deutlich gewachsen sein.
Auch die längerfristige Entwicklung lässt keinen Schwund von Pflegeeinrichtungen erkennen. Laut dem Statistischen Bundesamt nimmt die Zahl der Pflegeheime seit Jahren kontinuierlich zu. Zuletzt wurden die Zahlen für das Jahr 2023 mit 16.500 Pflegeheimen und 15.500 ambulanten Diensten veröffentlicht. Selbst 35 ersatzlose Schließungen von Pflegeheimen würden angesichts dieser Gesamtzahl kaum ins Gewicht fallen. Das entspräche 0,2 Prozent. Eine Versorgungskrise sieht anders aus.
Richtig ist aber auch, dass manche Pflegeheime aufgrund von Personalmangel ihre Belegung reduzieren müssen, wodurch stationäre Plätze verloren gehen. Allerdings nicht in einem Maße, das die Versorgung vor dem Kollaps stehen lässt.
Thomas Hartung