Nur wenige Pflegeanbieter sichern Liquidität mit Factoring
Sozialunternehmen haben noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um ihre Liquidität zu sichern. Das ist eines der Ergebnisse des "Trendbarometers 2025" der Sozialbank. Als Beispiel für die Liquiditätssicherung nennt sie das Factoring. Doch welche Vorteile – und eventuell auch Nachteile – hat Factoring? Und: Warum es in der Pflege so wenige genutzt wird. Care vor9 sprach darüber mit Andreas Dehlzeit (Foto), Sprecher der Geschäftsführung der Sozialbank-Schwestergesellschaft Sozialfactoring.

Sozialfactoring GmbH
Manche Pflegeunternehmen meiden Factoring, weil sie Angst vor Kontrollverlust haben, meint Andreas Dehlzeit
Herr Dehlzeit, welche Vorteile bietet Factoring, auf Deutsch: der Verkauf von Forderungen an ein Kreditinstitut?
Andreas Dehlzeit: Die Vorteile zeigen sich ganz konkret im Alltag – ich nenne Ihnen ein paar Beispiele aus der Praxis: Insbesondere für kleinere und mittlere Pflegedienste ist die monatliche Gehaltszahlung oft der größte Ausgabeposten. Wenn Zahlungen der Kassen zu spät kommen, führt dies schnell zu enormen Belastungen. Factoring sorgt dafür, dass die nötige Liquidität zuverlässig zur Verfügung steht – und Gehälter pünktlich überwiesen werden können.
Wenn es um Investitionen geht, etwa in Fahrzeuge, digitale Einsatzplanung oder größere Mengen von Betriebsmitteln, fehlt oft der finanzielle Spielraum. Factoring schafft hier Unabhängigkeit: Vorhaben lassen sich umsetzen, ohne Kredite aufzunehmen oder Bankgespräche zu führen. Das spart Zeit, senkt Risiken und ermöglicht gezielte Weiterentwicklung.
Auch in angespannten Zeiten bietet die passende Vorfinanzierung Flexibilität – etwa bei Krankheitswellen, gesetzlichen Änderungen oder kurzfristigen Ausfällen. Nicht zuletzt profitieren die Mitarbeitenden: Wer finanziell flexibel ist, kann gezielt in moderne Ausstattung, verlässliche Dienstpläne und Zusatzleistungen investieren. Das schafft spürbare Vorteile im Wettbewerb um Fachkräfte – und stärkt die Bindung im Team.
Können sich beim Factoring auch Nachteile ergeben?
Jede Finanzierungslösung sollte kritisch hinterfragt werden. Natürlich verursacht Factoring Kosten. Diese Kosten sind abhängig vom Volumen, Risiko und Leistungsumfang. Entscheidend ist dabei die Perspektive: Der Gegenwert liegt in gesicherter Liquidität, weniger Verwaltungsaufwand und einem kalkulierbaren Zahlungseingang – ein Gewinn an Stabilität, der sich für viele Pflegedienste rechnet. Ein transparenter Anbieter zeigt die Kosten offen auf und hilft bei der Bewertung, ob sich das Modell lohnt.
Auch der Aufwand für die Umstellung ist ein Thema, das viele umtreibt. Natürlich bedeutet Factoring am Anfang eine gewisse Veränderung – vor allem in der Buchhaltung. Aber: Ein guter Anbieter begleitet diesen Schritt eng. Es gibt digitale Schnittstellen, technische Unterstützung und klare Abläufe, damit sich Factoring möglichst nahtlos in den bestehenden Prozess einfügt. Factoring bedeutet auch, Aufgaben aus der Hand zu geben. Das kann entlasten, sollte aber gut abgestimmt sein. Eine enge Kommunikation und transparente Prozesse sorgen dafür, dass der Pflegedienst jederzeit die Kontrolle behält und der Dienstleister im Sinne des Unternehmens handelt.
Zuletzt noch ein praktischer Punkt: Nicht alle Leistungen eignen sich automatisch für Factoring. Ein spezialisierter Anbieter prüft daher im Vorfeld, welche Forderungen übernommen werden können – und bietet oft auch bei Teilleistungen oder komplexen Abrechnungen passgenaue Lösungen an. So entsteht Sicherheit, was funktioniert – und was gegebenenfalls ausgelassen wird.
Warum nutzen so wenige Pflegeunternehmen Factoring?
Ein zentraler Punkt ist der geringe Bekanntheitsgrad. Viele Pflegeunternehmer kennen Factoring schlichtweg nicht als möglichen Finanzierungsbaustein. Das Thema findet in Aus- und Weiterbildungen kaum Beachtung, und selbst in Beratungsgesprächen mit Steuerberatern oder Banken kommt es selten aktiv zur Sprache. Deshalb ziehen viele Factoring gar nicht erst als mögliche Lösung in Betracht – obwohl es gut zur Liquiditäts- und Entlastungsstrategie passen würde.
Hinzu kommt: In der Pflege steht das Wohl der Menschen im Mittelpunkt – wirtschaftliche Themen werden daher häufig mit Zurückhaltung betrachtet. Genau deswegen bedarf es Anbietern mit Branchenbezug – die zeigen können, wie Factoring dazu beiträgt, Versorgung zu sichern, Mitarbeitende zu binden und Investitionen zu ermöglichen.
Gerade kleinere oder mittlere Pflegedienste haben wenig Kapazitäten, sich mit neuen Prozessen zu beschäftigen – auch wenn diese am Ende Arbeit abnehmen würden. Factoring wird dann als zusätzlicher Aufwand wahrgenommen, nicht als Entlastung. Die kurzfristige Belastung, etwa durch Antragsprozesse, schreckt ab, obwohl der langfristige Nutzen überwiegt.
Ich denke: Es braucht mehr Information, gezielte Ansprache – und Anbieter, die nicht nur Finanzierung können, sondern auch die Pflegewelt verstehen.
Gibt es vielleicht auch Vorbehalte gegenüber Factoring?
Ja, die gibt es durchaus – und das ist auch nachvollziehbar. Viele Akteure müssen sich täglich einer Vielzahl von Herausforderungen stellen und verfügen nicht über die Zeit, sich tief in Finanzierungsthemen einzuarbeiten. Ein häufiger Vorbehalt ist zum Beispiel die Sorge vor Kontrollverlust – also die Angst, die Hoheit über die eigenen Zahlungsflüsse oder die Kommunikation mit den Kassen zu verlieren. Aber: Selbstabrechner bleiben weiterhin im Kontakt mit den Kostenträgern und haben einen transparenten Überblick über ihre Abrechnungsprozesse.
Ein weiteres Thema ist der Datenschutz. Da es um sensible Leistungsdaten geht, ist das absolut verständlich. Hier ist entscheidend, mit wem man zusammenarbeitet: Ein spezialisierter Anbieter bringt nicht nur Finanzkompetenz mit, sondern auch zertifizierte IT-Sicherheit und klare vertragliche Regelungen.
Factoring wird zudem teils mit anderen Leistungen verwechselt – etwa mit dem Inkasso. Das führt zu Missverständnissen über die Rolle des Dienstleisters und die Auswirkungen auf die Kassenzahlungen. Der Markt hat sich professionalisiert – insbesondere dort, wo Factoring auf die Bedürfnisse des Sozial- und Gesundheitswesens spezialisiert ist. Anbieter mit entsprechender Branchenexpertise kombinieren Fachkenntnis im SGB V und SGB XI-Bereich mit seriösem Finanzierungshandwerk.
Wichtig ist, dass Factoring kein Fremdkörper im System ist. Es ist ein Werkzeug – flexibel einsetzbar, abgestimmt auf die individuellen Prozesse. Wer es richtig einbindet, kann davon langfristig profitieren.
Das Interview führte Kirsten Gaede