Focus-Story über Pflegebetrug erregt die Gemüter der Branche
Keine gute Presse für die Pflege: Der Focus titelt über die "Tricks der Pflegemafia". Mit gefälschten Abrechnungen und erfundenen Patienten würden Millionenbeträge ergaunert, so das Nachrichtenmagazin. Besonders stark verbreitet sei der Abrechnungsbetrug in den Metropolen, insbesondere in Berlin. Der Bericht hat auch die Arbeitgeberverbände alarmiert, sie kritisieren gegenüber Care vor9 das löchrige Kontrollsystem, aber auch die Machart der Berichterstattung.
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Einen hohen Anteil des Großbetruges würden türkische und russisch-ukrainische Dienste unter sich ausmachen, heißt es in der mehrseitigen Focus-Story. In der Hauptstadt kümmert sich das Berliner LKA 346 um den Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen. "Nach Schätzung des Experten sind von den knapp 700 Pflegediensten in der Hauptstadt rund 90 dem kriminellen Bereich zuzurechnen", schreibt der Focus. So täuschte etwa ein Spandauer Pflegedienst mit falschen Abrechnungen und erfundenen Leistungen die Krankenkassen. Gesunde Rentner wurden als bettlägerig ausgegeben.
Corona-Zeit als Einfallstor für den Betrug
Die Kontrollen des Medizinischen Dienstes (MD) erweisen sich dabei oft als unzureichend, kritisieren die Autoren. Betrügerische Pflegedienste wüssten genau, wie sie sich auf angekündigte Kontrollen vorbereiten müssten, sodass der tatsächliche Pflegebedarf der Patienten oft nicht erkannt werde. Zudem sei die Corona-Zeit intensiv genutzt worden, um flächendeckend die Pflegegrade anzuheben, weil die Kommunikation mit dem MD ausschließlich telefonisch habe erfolgen können. Und nach der Pandemie sei es oft bei der telefonischen Nachfrage geblieben, da der MD schlicht zu wenig Personal für Hausbesuche habe.
Betrugsmasche mit der "Verhinderungspflege" aktuell im Trend
Ein großer Teil des Betrugs finde innerhalb von Communitys aus Osteuropa und Russland statt. Ältere, prinzipiell nicht pflegebedürftige Menschen würden für den Abrechnungsbetrug benutzt, indem sie Pflegebedürftigkeit vortäuschten und so zu Komplizen der kriminellen Pflegedienste würden.
Besonders beliebt bei Betrügern sei laut Ermittlern derzeit der Trick mit der "Verhinderungspflege". Das Verfahren ist simpel und effektiv: Pflegekräfte haben Anspruch auf Urlaub, und während ihrer Abwesenheit sollen Ersatzkräfte die Patienten betreuen. Dafür stellen die Krankenkassen jährlich bis zu 2.418 Euro pro Patienten bereit. Ein Berliner Pflegedienstleiter habe das mit 49 Kunden abgerechnet, was ihm fast 120.000 Euro eingebracht habe. Tatsächlich sei jedoch nie eine Vertretung erschienen.
Branche reagiert unterschiedlich auf die Vorwürfe
Die publikumswirksame Berichterstattung des Focus wurde in dieser Woche auch in der Branche intensiv diskutiert, die Arbeitgeberverbände mussten sich qua Amt mit der unschönen Lektüre auseinandersetzen. Die Sichtweise auf die Berichterstattung indes war nicht unbedingt einheitlich. Während der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) primär das löchrige Kontrollsystem kritisierte, richtete sich die Kritik des Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (BAD) überwiegend gegen die Machart des Artikels selbst.
AGVP-Geschäftsführerin Isabell Halletz sagte gegenüber Care vor9: "Die geschilderten Fälle sind schockierend. Leider werden seit Jahren immer wieder Betrugsfälle insbesondere in der ambulanten Pflege bekannt und die Pflegekassen als auch die Politik scheinen machtlos zu sein, diese zu verhindern."
Es stelle sich die Frage, wie gut die Pflegedienste geprüft würden, bis sie eine Zulassung von den Pflegekassen erhalten hätten, hinterfragt Halletz das Kontrollsystem. Sie fordert: "Regelmäßige Kontrollen in der ambulanten Pflege müssen eingeführt werden, wie sie in Pflegeeinrichtungen und Altenheimen stattfinden, damit kriminelle Machenschaften zeitnah aufgedeckt und pflegebedürftige Personen in ihrer Häuslichkeit geschützt werden."
BAD sieht die gesamte Pflegebranche verunglimpft
Auf wenig Gegenliebe ist die Titelstory beim BAD gestoßen. Geschäftsführerin Andrea Kapp kritisiert den Focus-Bericht scharf und bezeichnet ihn gegenüber Care vor9 als "nicht nur schädlich, sondern auch schlecht recherchiert". Sie wirft dem Magazin vor, die gesamte Pflegebranche in polemischer Sprache zu verunglimpfen und zu diffamieren.
Der Artikel stelle pflegebedürftige Menschen fälschlicherweise sowohl als Täter als auch als Opfer dar, während die Realität zeige, dass die meisten Pflegebedürftigen und Pflegekräfte rechtstreue Menschen seien, die mit großem Engagement arbeiten. Kapp betont, dass der Bericht die wenigen spektakulären Fälle krimineller Machenschaften überbetone und dadurch unbegründete Ängste bei Pflegebedürftigen schüre sowie Menschen davon abschrecke, in der Pflege zu arbeiten.
Kapp widerspricht zudem der Darstellung, dass während der Corona-Pandemie der Missbrauch des Systems zugenommen habe, und verweist auf offizielle Zahlen des MD, die zeigten, dass die Pflegegrade auf dem gleichen Niveau wie vor der Pandemie geblieben seien. Weiter führt sie aus: "Abrechnungsprüfungen finden mindestens in den einmal jährlich durchzuführenden Qualitätsprüfungen in allen ambulanten Pflegeeinrichtungen statt. Damit wird die professionelle Pflege schon heute stärker überwacht, als die meisten anderen Branchen."
Pascal Brückmann