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10. April 2024 | 22:39 Uhr
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Von Pflege-Mythen, Hoffnung und Hilfsbereitschaft

An der Politik lässt der DAK-Pflegereport 2024 kein gutes Haar. Drängende Fragen werden verschleppt, die Branche und die Betroffenen allein gelassen. Doch es ist nicht alles schlecht, sagt Studienleiter Professor Thomas Klie (Foto). Beschäftigte engagieren sich über Maßen und die Bevölkerung zeigt Hilfsbereitschaft. Seine Studie beweise, dass viele Vorurteile über die Pflege einfach falsch seien.

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Professor Thomas Klie sieht die Zukunft der Pflege in der Kombination aus freiwilligen Helfern und Pflegeprofis

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Die Ergebnisse der Studie räumen in der Tat mit einigen Mythen über die Pflege gründlich auf. Zum Beispiel: "Der Pflegeberuf ist unattraktiv." Falsch, sagt Klie. "Der Pflegeberuf ist heute der bestbezahlte Ausbildungsberuf in Deutschland." Tatsache sei auch, dass 2020/2021 so viele Pflegekräfte ausgebildet wurden wie noch nie. "Die Ausbildungszahlen halten sich auch nach Einführung der generalistischen Ausbildung stabil", was eine weitere Behauptung widerlege, die immer wieder verbreitet werde. Auch, dass Krankenhäuser der Altenpflege durch bessere Bezahlung Fachkräfte entziehen würden, sei nicht richtig, zeigten die Daten.

Einen Pflexit in der Corona-Zeit hat es nie gegeben

Dass Pflegekräfte nur wenige Jahre in ihrem Beruf verweilen würden, sei ebenso falsch. "Beruflich Pflegende sind sektoren- und ortstreu", sagt Klie. Die aktuell in der Pflege Beschäftigten seien im Durchschnitt elf Jahre dabei, Berufseinsteiger mitgerechnet. Der sogenannte Pflexit wegen Corona sei ebenfalls ein Märchen. Natürlich stiegen immer Menschen aus dem Beruf auch, aber eine massenhafte Flucht aus der Pflege habe es nicht gegeben. "Diese Mythen sind giftig für das Image und die Zukunftsfähigkeit der Pflege", sagt Klie. Deshalb müsse man ihnen entgegentreten. 

Die Beseitigung von Vorurteilen macht die Situation in der Pflege allerdings nicht besser. Neben der Finanzierung und den bürokratischen Fesseln ist die Generation der Babyboomer das größte Problem – aber auch Teil der Lösung. Eine Viertelmillion Pflegekräfte zählen zu dieser Gruppe und scheiden in den nächsten Jahren aus dem Berufsleben aus. Doch diese Generation sei es gewohnt, mit veränderten Lebensverhältnissen umzugehen und soziale Netzwerke zu knüpfen. "Diesen Formen der Selbstorganisation von Sorge, fachlich begleitet durch Fachkräfte, wird eine der zentralen Perspektiven für die Sicherung der Pflege darstellen müssen", glaubt der Studienleiter.

Neue Versorgungsformen mit Nachbarn, Freunden und Pflegekräfte

"Die wichtigste Ressource sind Nachbarn und Freunde", sagt Klie, unterstützt von professionellen Pflegefachkräften und Kommunen. "Dabei bedarf es auch der bürokratischen Abrüstung im Bereich der Pflegedienste und der Unterstützungsleistungen", fordert Klie. "Wir brauchen neue Wohn- und Versorgungsformen." Quartiere, stambulante Einrichtungen und andere neue Konzepte dürften nicht benachteiligt und ausgebremst werden. Zwei Drittel der Bundesbürger sind der Meinung, Menschen in WGs sollten die gleiche finanzielle Entlastung erhalten wie die in Pflegeheimen.

Die Bereitschaft zu helfen, ist bei den Deutschen ausgeprägt. Mehr als jeder Zweite sagt, er würde Nachbarn oder Bekannte, die Hilfe benötigen, regelmäßig im Alltag unterstützen. Bei Familienangehörigen steigt die Bereitschaft auf über 80 Prozent. Wenn hierfür etwas Geld fließe, schmälere das die Einstellung nicht, sagt Klie. Viele könnte so ihr Einkommen etwas aufbessern und viele Betreuten könnten ihr schlechtes Gewissen ablegen. Es sei allerdings ein Skandal, dass bürokratische Hemmnisse dafür sorgen, dass der Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung von nur jedem fünften Bedürftigen eingelöst werde. 

Pflegebranche hat auch Hausaufgaben zu machen

Handlungsfelder für die Pflegebranche sieht der Report vor allem in der Sicherung der Ausbildung von Fach- und Assistenzkräften vor Ort und die Ansprache von Zuwanderern. Wichtig sei zudem die sektorenübergreifende Zusammenarbeit, mehr Eigenverantwortung und die Förderung von Innovationen. Luft nach oben gebe es auch, attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen sowie Prävention und Gesundheitsförderung der Beschäftigten. Hier gebe es viele Stellschrauben, die die Pflegeeinrichtungen selbst in der Hand hätten.

Ernüchternd ist jedoch Klies Fazit, wenn es um die Finanzierung der Langzeitpflege geht. "Angesichts der aktuellen Haushaltssituation, den Vorgaben zur Schuldenbremse und der prekären Finanzsituation der Kranken- und Pflegekassen stellt sich das Thema Finanzierung der Pflege als ein drängendes, aber zugleich äußerst schwieriges." Auch die Bereitschaft in der Bevölkerung zur Mitfinanzierung der Pflege über höhere Beiträge zur Pflegeversicherung sei kaum vorhanden. Und: "Eine Pflegevollversicherung, aber auch der Sockel-Spitze-Tausch haben derzeit keine politische Realisierungschance."

Thomas Hartung

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