Manches Amt braucht Jahre für Hilfe-zur-Pflege-Anträge
Eine Bearbeitungszeit von sechs bis zwölf Monate für Hilfe-zur-Pflege-Anträge ist keine Seltenheit, wie Recherchen des ARD-Politmagazins Report Mainz ergeben haben. Manche Ämter liegen sogar noch darüber: So beträgt die aktuelle Bearbeitungszeit im Amt für Soziales in Berlin-Pankow augenblicklich zwei Jahre. Insbesondere für ambulante Pflegedienste bergen die Verzögerungen große Probleme.

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Den Sozialämtern mangelt es an Digitalisierung und Personal
"Aufgrund unseres akuten Personalmangels beträgt meine Bearbeitungszeit gegenwärtig etwa zwei Jahre. Überlastungsanzeigen von uns Mitarbeitern konnten dahingehend leider bisher keine Änderung der Situation herbeiführen." So antwortete ein Mitarbeiter des Amts für Soziales in Berlin-Pankow kürzlich einem Enkel, der für seinen pflegebedürftigen Großvater viermal hintereinander per Mail an seinen Antrag auf Hilfe zur Pflege erinnert hatte.
Sicherlich ist die Situation nicht überall so gravierend, dennoch ist Pankow kein absoluter Einzelfall. In einer bundesweiten Umfrage von Report Mainz gaben von 478 angeschriebenen Sozialämtern insgesamt 113 Auskunft über ihre Bearbeitungszeiten für Hilfe-zur-Pflege-Anträge: Rund 27 Prozent sagten, dass es mehr als sechs Monaten bis zu einem Jahr dauern könne. Fünf Prozent gaben Bearbeitungszeiten von weit mehr als zwölf Monaten an. In Wilhelmshaven etwa betragen die Bearbeitungszeiten in fast jedem vierten Fall mehr als ein Jahr, in Tuttlingen in Baden-Württemberg rund zwölf Monate und im Landkreis Wittenberg in Sachsen-Anhalt teilweise über ein Jahr.
Ambulante Pflegedienste können auf den Kosten sitzen bleiben
Besonders hart treffen die langen Wartezeiten ambulante Pflegedienste, sagt Thomas Meißner, stellvertretender Vorsitzender des AVG-Verbands für ambulante und teilstationäre Pflegeeinrichtungen in Berlin. Denn ein ambulanter Pflegedienst hat – anders als eine stationäre Einrichtung – keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen der Hilfe zur Pflege, wenn der Pflegebedürftige vor der Kostenzusage des Sozialhilfeträgers stirbt. Darauf hat kürzlich erst wieder das Landessozialgericht von Nordrhein-Westfalen hingewiesen. "Ein Behördenmitarbeiter bot mir einmal an, ihn zu informieren, wenn ich sehe, dass ein Patient in Kürze sterben wird – aber das ist nun wirklich keine Lösung. Da braucht es eine Gesetzesänderung, die eigentlich auch recht leicht zu herbeizuführen ist", so Meißner.
Das Risiko, bei langen Wartezeiten für Leistungen möglicherweise gar keine Vergütung zu erhalten, ist das eine. Kontinuierliche ganz reale Außenstände sind das andere: So sind beim AHK Pflegeteam in Berlin noch Rechnungen in Höhe von fast 50.000 Euro offen, die das Unternehmen zwischen Dezember und März dem Sozialamt Pankow gestellt hat. "Man darf ja nicht vergessen: Unsere Zahlungsfrist beträgt laut Rahmenvertrag 14 Tage – und die wird regelmäßig überschritten", sagt Andreas Kröger, Geschäftsführer des AHK Pflegeteams.
Pflegeanbieter haben gegen die Behörden wenig in der Hand
Kröger sitzt auch im AVG-Vorstand und trägt dort die Beschwerden der Mitglieder über die Zahlungsverzögerungen seit Jahren an die Berliner Politik heran. Doch er muss feststellen: "In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Situation eindeutig verschlimmert." Den Mitgliedern rät er zu Untätigkeitsklagen und dem "Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht". Doch die Crux ist: Diese Rechtswege stehen den Pflegediensten gar nicht zur Verfügung, die Angehörigen oder Betreuer müssten sie beschreiten.
Was aber können Pflegeanbieter gegen die langen Bearbeitungszeiten von Anträgen und Rechnungen unternehmen? Enrico Buschek, Geschäftsführer des Berliner Pflegedienstes Spreevital, ist ratlos: "Natürlich können wir Beschwerden schreiben, wie viele andere auch, aber dadurch geht's nicht schneller. Fest steht nur: Es muss etwas passieren. Wir sind ein kleiner Familienbetrieb und können das auf Dauer nicht stemmen."
"Dieser Behörden-Bürokratismus ist nicht hinnehmbar"
Für die Mitarbeiter in den Behörden hat Buschek durchaus Verständnis: Die sind noch auf Faxsendungen angewiesen und chronisch unterbesetzt. Wenn er aber mitbekommt, dass Bewerber abspringen, weil die Bewerbungsverfahren der Behörden fast so lange brauchen wie die Bearbeitungsverfahren von Anträgen auf Hilfe zur Pflege, bleibt ihm nur die Feststellung: "Dieser Bürokratismus ist absolut nicht hinnehmbar."
Kirsten Gaede