So schlecht geht es den ambulanten Diensten
Extreme Lohnkostensteigerungen, eine oft unvollständige Refinanzierung, verzögerte Zahlungen von Pflegekassen und Sozialämtern – die Probleme sind bekannt. Gerade in der ambulanten Pflege fehlen aber oft Zahlen, die die Misere belegen. Konkrete Kennzahlen für die Jahre 2020 bis 2023 liefert jetzt der "Wirtschaftsmonitor ambulante Pflege" der Steuerberatung ETL Advision. Sie hat die Primärdaten mehrerer hundert Betriebe in der Rechtsform der GmbH mit Jahresumsätzen zwischen 500.000 Euro und 2,5 Millionen Euro ausgewertet.

Jens Schünemann
Weil die Personalkostenquote steigt, bleibt wenig Geld für Investitionen
Eine Zahl, die im Wirtschaftsmonitor ins Auge fällt: Die Gehälter einer Altenpflegefachkraft sind zwischen 2020 und 2023 um 40 Prozent gestiegen, hauptsächlich durch die Tariftreuepflicht. Eigentlich war die Refinanzierung der Gehaltserhöhungen gesetzlich zugesagt. Doch sie wurde "nicht vollständig und vor allem nicht zeitnah umgesetzt", heißt es in der Auswertung von ETL Advision mit ihren über 950 Kanzleien in Deutschland.
Die unvollständige Umsetzung der Refinanzierung belegt ETL Advision mit der Einwicklungs der Personalkostenquote in ihrem Wirtschaftsmonitor. Diese ist in den Pflegediensten zwischen 2020 und 2023 um knapp 4,6 Prozentpunkte gestiegen. Das würde sie nicht, wäre sie vollständig refinanziert, so ETL Advision. Bei kompletter Refinanzierung wären die Umsätze steigen und die Personalkostenquote auf dem gleichen Niveau bleiben. "Tatsächlich sind die erzielten Gesamtumsätze der Jahre 2020 bis 2023 jedoch nahezu unverändert", heißt es der Auswertung. Die höhere Personalkostenquote schlägt direkt auf die Gewinne durch, die entsprechend um fünf Prozent geringer ausfielen, so ETL Advision auf Anfrage von Care vor9.
Sinkende Liquidität und Investitionsbereitschaft
Steigende Personalkosten und stagnierender Umsatz haben Folgen: etwa auf die Investitionsbereitschaft. Sie geht laut ETL-Bericht zurück. Das zeigt sich für die Autoren an der gesunkenen Abschreibungsquote, die den Anteil der Abschreibungen auf Investitionen im Verhältnis zum Jahresumsatz wiedergibt. Sie ist zwischen 2020 und 2023 von 1,08 Prozent auf 0,86 Prozent gesunken.
Unter der hohen Personalkostenquote leidet auch die Liquidität. Das bedeutet: "Kreditinstitute versagen der Branche Zwischen- und Neufinanzierungen, mit der Folge zunehmender Einrichtungsschließungen und Insolvenzen. Neugründer haben höhere Anlaufkosten und damit deutlich erschwerte Finanzierungsbedingungen in einer Branche, die bei vielen Kreditinstituten inzwischen als Risikobranche gilt", so die Autoren.
Die Steuerexperten appellieren an die Pflege- und Krankenkassen, die Verhandlungsprozesse zu beschleunigen und Vergütungsansprüche zügig auszuzahlen. Aber auch den Pflegediensten raten sie aktiv zu werden und ihre Optimierungspotenziale zu prüfen: in Bezug etwa auf Controlling, Verhandlungsgeschick und Digitalisierung.
Den Wirtschaftsmonitor ambulante Pflege gibt es auf der ETL-Website zum Herunterladen. Wie es generell um die Rentabilität der ambulanten Pflegedienste steht, dazu äußert sich ETL nicht. "Durch die ländertypischen Unterschiede ist eine repräsentative Aussage zur Rentabilität bundesweit nach unserer Auffassung nicht sinnvoll", so die Steuerberater auf Nachfrage.
Kirsten Gaede