Pflegenetzwerk: bundesweite Vernetzung für Pflegende

Tägliche News für das Management von Pflege und Wohnen im Alter

29. August 2024 | 07:00 Uhr
Teilen
Mailen

Strafzinsen, damit die Pflegekassen endlich pünktlich zahlen

Kassen und Kommunen vergüten Pflegeleistungen oft zu gering und zu spät – zulasten der Pflegeanbieter. Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) fordert jetzt die Einführung von Strafzinsen, damit Zahlungsziele wieder eingehalten werden. Im Gespräch mit Care vor9 erklärt Isabell Halletz (Foto), Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbands, das Dilemma: "Es kann nicht sein, dass die Unternehmen Pflegeleistungen erbringen und dann keine Verlässlichkeit haben, dass sie dafür auch zeitnah bezahlt werden."

Halletz Isabell Geschäftsführerin AGVP

Isabell Halletz, Geschäftsführerin des Arbeitgeberverband Pflege (AGVP)

Anzeige
TENA

Kostenlose Testphase für mehr Effizienz

Weniger Kosten, mehr Zeit pro Tag. Sichern Sie sich jetzt Ihre Chance auf eine kostenlose Testphase mit TENA SmartCare Identifi und entdecken Sie alle Vorteile für Ihre Bewohner, Ihre Pflegekräfte und Ihr Unternehmen. 

Hier registrieren

Frau Halletz, Ihr Verband fordert die Einführung von Strafzinsen von Kommunen und Pflegekassen, weil diese viel zu oft die Zahlungsziele nicht einhalten. Welche Extrembeispiele werden Ihnen von Ihren Mitgliedern bezüglich verspäteter Zahlungen gemeldet?

Isabell Halletz: Oft dauert es Wochen oder Monate, bis offene Rechnungen der Pflegeunternehmen bezahlt werden. Wir hören von Personalengpässen bei den Pflegekassen und Kommunen, weshalb sich die Prüfungen der Rechnungen verzögern. Die Pflegeunternehmen haben jedoch keine Handhabe, diesen Prozess zu beschleunigen. Es kann nicht sein, dass die Unternehmen Pflegeleistungen erbringen und dann keine Verlässlichkeit haben, dass sie dafür auch zeitnah bezahlt werden. 

Sie berichten, dass die Fälle aus einen bestimmten Grund immer weiter zunehmen?

Ja, da die Zahl der Sozialhilfeempfänger in der Pflege weiter steigt, weil sich immer weniger Pflegebedürftige die hohen Eigenanteile leisten können. Für die Pflegeunternehmen hat dies negative Folgen. Zunächst müssen die Anträge auf "Hilfe zur Pflege" beim Sozialamt von den Pflegebedürftigen gestellt werden. Dieser Prozess dauert nach Einzelfallprüfung in der Regel drei bis sechs Monate. In Berlin sogar 18 Monate. Das sind viele Monate, in denen das Pflegeunternehmen aus eigenen Mitteln die Kosten für Pflege, Unterkunft, Versorgung und Investitionen für diese Personen vorfinanzieren muss, die den Sozialhilfeantrag gestellt haben. In einigen Regionen betrifft das sogar 80 Prozent der Pflegeheimbewohner. Erst nach positivem Bescheid durch den Sozialhilfeträger wird das Pflegeunternehmen für die pflegerische Versorgung bezahlt und dann oftmals nicht in vereinbarter Höhe, weil die Sozialämter eigenmächtig die Pflegesätze kürzen. 

Was ist die Folge?

Ein Pflegeunternehmen ist keine Bank und die Vorauszahlungen beeinträchtigen seine Liquidität deutlich – ein weiterer Grund für die finanzielle Schieflage. Laut einer Erhebung unter unseren Mitgliedern sprechen wir von über 80 Millionen Euro Außenständen bei "Hilfe zur Pflege"-Empfängern deutschlandweit, weil die Sozialhilfeträger nicht, beziehungsweise erst sehr verspätet zahlen. Das hält kein Unternehmen lange durch.  

Teilweise hat es auch schon Klagen gegeben. Haben die Gerichte die Strafzinsen bestätigt?

In Einzelfällen gibt es tatsächlich erste Erfolge. Der Weg dorthin ist jedoch lang, da auch die Gerichte überlastet sind und lange Wartezeiten haben.

Aber prinzipiell kann ich doch als Betreiber meine Rechnung fällig stellen, wenn sie trotz Mahnung nicht gezahlt wird. Warum funktioniert das hier nicht?

Im Sozialgesetz sind die Verfahren und Zeiträume klar geregelt, allerdings haben die Pflegeunternehmen keine Handhabe, den Zahlungsprozess zu beschleunigen, wenn die Pflegekassen diese Zeiträume nicht einhalten. Aus Sicht des AGVP kann es nicht sein, dass Prüfprozesse offener Rechnungen oder die Bearbeitung von Anträgen zur Hilfe zur Pflege bei den Kommunen in die Länge gezogen werden, weil das Personal auf der Kassenseite fehlt. Es kann nicht sein, dass die Pflegeunternehmen dauerhaft in Vorleistung gehen und sich dann wie Bittsteller verhalten müssen, um diese Leistungen auch vergütet zu bekommen. 

Was passiert eigentlich, wenn die betreute Person verstirbt, bevor die Rechnungen beglichen sind?

Das ist das nächste Problem, da die Leistungsansprüche nicht vererbbar sind. Verstirbt eine pflegebedürftige Person, während der Antrag zur Hilfe zur Pflege noch nicht vom Sozialamt bearbeitet werden konnte, bleibt die betroffene Pflegeeinrichtung auf den offenen Kosten sitzen. Das wirtschaftliche Risiko der Zahlungsfähigkeit verbleibt allein bei den Pflegeunternehmen. Deshalb fordern wir vom Gesetzgeber, entsprechend einzugreifen und Verzugszinsen als sogenannte Strafzinsen für säumige Pflegekassen und Behörden zu ermöglichen, so wie es auch in anderen Branchen üblich ist.

Sie rufen nach dem Gesetzgeber. Aber haben Sie denn nicht versucht, sich einvernehmlich mit den Pflegekassen zu einigen?

Die Pflegeleistungen und die Vergütung werden im Versorgungsvertrag geregelt. Allerdings ist es bisher nicht gelungen, dort auch Verzugszinsen zu vereinbaren, denn dazu müssten beide Vertragspartner – Pflegekassen und das Pflegeunternehmen – zustimmen. Bisher scheiterte es an der Zustimmung der Pflegekassen, die sich auf Kosten der Pflegeunternehmen einen schlanken Fuß verschaffen. Mittlerweile verbringen die Pflegeunternehmen viel Zeit damit, sich um offene Forderungen zu kümmern. Allerdings sitzen die Pflegekassen am längeren Hebel und das kann doch nicht sein. Wer zur kritischen Infrastruktur zählt, und das tun die Pflegeunternehmen, muss auch mit entsprechender Priorität vergütet werden.

Sie haben das Problem nun beim Bundesgesundheitsministerium vorgetragen. Welche Hoffnung haben Sie, dass ihre Sorgen dort gehört werden?

Die finanziellen Spielräume der Pflegeunternehmen sind mittlerweile vielerorts mehr als erschöpft. Ziel der Politik muss es sein, den wirtschaftlichen Betrieb von Pflegeeinrichtungen wieder zu ermöglichen, damit es auch in Zukunft noch Unternehmen geben wird, die in die Pflege investieren und die dringend benötigten Pflegekapazitäten erhalten oder sogar ausbauen. Aber dazu braucht es verlässliche Rahmenbedingungen und vor allem eine verlässliche Finanzierung durch die Pflegekassen und die Sozialhilfeträger. Das BMG hat dem AGVP zwar rückgemeldet, zu prüfen, was getan werden kann. Allerdings darf auch das BMG nicht in die Handlungsspielräume der Pflegekassen und Kommunen eingreifen. Dennoch, wir bleiben für unsere Mitglieder dran.

Das Gespräch führte Pascal Brückmann

Newsletter kostenlos bestellen

Ja, ich möchte den Newsletter täglich lesen. Ich erhalte ihn kostenfrei und kann der Bestellung jederzeit formlos widersprechen. Meine E-Mail-Adresse wird ausschließlich zum Versand des Newsletters und zur Erfolgsmessung genutzt und nicht an Dritte weitergegeben. Damit bin ich einverstanden und akzeptiere die Datenschutzerklärung.

Anzeige Social Factoring