Pflege soll Schlüsselrolle in Primärversorgung übernehmen
Wenn es nach Pflegeratspräsidentin Christine Vogler (rechts) und Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (links) geht, warten neue Aufgaben auf die Pflege. Neben dem Gesetz zur Befugniserweiterung sehen beide Frauen im geplanten Primärversorgungssystem eine wichtige koordinierende Rolle für die Pflege. Dies sagten sie gestern auf dem Deutschen Pflegetag in Berlin, der mit 10.000 Teilnehmern einen Rekordbesuch verzeichnete.
Jan Pauls/Pflegetag
Zwei Frauen, die die Pflege stärken wollen: links Gesundheitsministerin Nina Warken, rechts Pflegeratspräsidentin Christine Vogler
In Voglers Eröffnungsrede nahm das sogenannte "Primärarztsystem" breiten Raum ein, das sie lieber in "Primärversorgungssystem" umbenennen würde. Das Gesundheitssystem sei zu stark auf Ärzte ausgerichtet. "Der erste Kontakt, die Steuerung, die Versorgungslast – fast alles wird ärztlich gedacht, organisiert und vergütet", sagte Vogler. Dies sei historisch erklärbar, für die Zukunft jedoch "nicht tragfähig".
Pflegekräfte sollen Gesundheitszentren vor Ort führen
Vogler fordert Gesundheitszentren vor Ort, in denen die Pflege die Führung übernimmt. Der Erstkontakt in einem Primärversorgungssystem sollte ihrer Meinung nach in die Hände von Pflegefachkräften, Advanced Community Nurses oder, einfacher ausgedrückt, Gemeindeschwestern gelegt werden. Diese sollten eigene Sprechstunden, beispielsweise für Wunden, Hypertonie oder Demenz, einrichten und das Übergangs- und Medikationsmanagement, Hausbesuche sowie ein Qualitätsmonitoring übernehmen. Vogler prophezeit als Ergebnis "weniger Notaufnahmen, weniger Re-Hospitalisierungen und eine bessere Lebensqualität".
"Das Gesetz zur Befugniserweiterung ist ein großer und unglaublich wichtiger Schritt", lobt Vogler die Politik. "Aber Handlungsspielräume wirken nur, wenn sie auch finanziert, abrechenbar und klar geregelt sind." Endlose Modellprojekte müssten endlich in feste Strukturen übergehen. Dass die Festlegung der Standards für die Befugniserweiterung in Händen des GKV-Spitzenverbandes und des Medizinischen Dienstes liegt, hält Vogler "für gewagt". Hier solle der Schiedsrichter auch die Regeln machen.
Auch Gesundheitsministerin will die Pflege stärken
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken hat die Forderung nach einer autonomen Pflege aufgenommen. "Es wurde zu lange über die Pflege gesprochen", sagte sie in ihrem Grußwort auf dem Pflegetag. Das sei bei ihr anders. "Der Deutsche Pflegerat ist unverzichtbar – als Institution und als Sprachrohr", so Warken. Wichtig sei aber auch, dass der Deutsche Pflegerat in seinem Bemühen nicht nachlasse, die Pflege zu einen.
Selbstverwaltung der Pflege auch ohne Kammern umsetzen
Selbstverwaltung sei kein Selbstzweck, sondern Versorgungssicherheit in Gesetzesform, so die Pflegeratspräsidentin. Viele Bundesländer hätten die Selbstverwaltung der Pflege verschleppt, parteitaktisch blockiert und letztlich zerstört. "Das ist eine sträfliche Vernachlässigung staatlicher Verantwortung", so Vogler.
Wer die mit 1,7 Millionen Pflegenden größte Berufsgruppe ohne verbindliche Mitentscheidungsrechte halte, akzeptiere "schlechtere Entscheidungen". Ohne Kammern blieben Berufsordnungen, Weiterbildungsordnungen, Qualitätsstandards, Ethik und Berufsaufsicht fragmentiert und fremdgesteuert. Gewerkschaften, Parteien und andere Institutionen, die dort mitredeten, seien keine berufspolitischen Organisationen der Pflegeprofession.
Der Deutsche Pflegerat sei bereit, diese Rolle als maßgebliche Organisation zu übernehmen. "Wenn Sie das nicht Pflegekammern nennen wollen, dann nennen Sie es eben anders", so Vogler an die Bundesländer gerichtet. Hauptsache, es gebe endlich überall Körperschaften für den Pflegeberuf. Ihr gehe es vor allem um Daten. Heute wisse niemand, wie viele Pflegefachkräfte mit welchen Kompetenzen es überhaupt gibt. Um eine Versorgung aufzubauen und zu sichern, sei dies jedoch eine Grundvoraussetzung.
Vogler ist sich allerdings bewusst, dass Berufsorganisationen auch an den Pflegekräften selbst gescheitert sind, wie zuletzt in Baden-Württemberg. Daher richtete sie auch einen eindringlichen Appell an ihre Kollegen. "Verbände und Kammern sind keine fernen Institutionen, sie sind wir – oder eben niemand", so die Pflegeratspräsidentin. "Wer Selbstverwaltung will, muss sie aufbauen, wählen und tragen. Mitglied werden, kandidieren, Arbeitsgruppen füllen."
Thomas Hartung